Von 1965 bis 1990 wurde an der Juristischen Hochschule in Potsdam im Auftrag des Ministeriums für Staatssicherheit ein Fach gelehrt, das heute weitgehend in Vergessenheit geraten ist: Die „Operative Psychologie“.
Ein vom Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung finanziertes Forschungsprojekt widmet sich erstmals den wissenschaftshistorischen Wurzeln, der fachlichen Entwicklung und den psychischen Konsequenzen einer geheimdienstlichen Psychologie im Zeichen des Kalten Krieges.
Operative Psychologie – Psychologie im Auftrag der Staatssicherheit
Über 200 Diplomarbeiten und Dissertationen, viele tausend Seiten von „Studienheften“ und „Lernbüchern“ – bis heute sind die im Bundesministerium für die Stasi-Unterlagen archivierten Dokumente, die im Umfeld des Lehrstuhls für Operative Psychologie angefertigt wurden, nur oberflächlich untersucht. Die dort angestellten Psychologen (die zuvor im Auftrag des MfS an staatlichen Universitäten in der DDR studiert hatten) bearbeiteten mehrere Aufgabenfelder: Zum einen sollten Anforderungsprofile für die ideale „tschekistische“ Persönlichkeit erstellt werden, zum anderen war auch die Identifikation und Analyse von sogenannten „feindlich-negativen“ Personen (beispielsweise Dissidenten oder Ausreiseantragsteller) von großem Interesse. Noch bedeutsamer (und für die Betroffenen mit massiven Konsequenzen verbunden) für die praktische Arbeit des MfS waren jedoch zwei weitere Aufgabenfelder der Operativen Psychologie:
Konsequenzen der Operativen Psychologie – Biographiearbeit und der Diskurs nach 1989
Auch über dreißig Jahre nach dem Zusammenbruch der DDR sind die wissenschaftshistorischen Wurzeln dieses operativ-psychologischen Wissens noch weitgehend im Dunkeln und sollen in diesem Projekt erstmals systematisch untersucht werden. Neben der Sicht des MfS bringt dieses Projekt aber auch die Perspektive derjenigen Menschen zur Sprache, die zur Zielscheibe der „operativen Maßnahmen“ wurden: diejenigen, die von Techniken der „Zersetzung“ und Anwerbungsversuchen durch das MfS betroffen waren. Mit der Unterstützung von mehreren Verbänden und Beratungsstellen für politisch Traumatisierte in der DDR (siehe „Projektpartner“) werden im Rahmen des Projektes biographische Gruppen- und Einzelinterviews durchgeführt, um Prozesse der Verfolgung, Unterdrückung und Entmächtigung, aber auch des Entzugs, des Widerstands und der Solidarisierung gegen die Übermächtigung durch staatliche Organe aus Sicht der Betroffenen zur Sprache zu bringen. Die ehemals Verfolgten sollen im Rahmen des Projekts ermutigt werden, trotz der erlittenen Ohnmacht und Hilflosigkeit, im Rahmen der Erinnerungsarbeit ihre Rolle als (Ko-)Akteure ihrer eigenen Biographie zu reflektieren. Im wiedervereinten Deutschland werden bis heute höchst kontroverse Diskurse über Fragen der Deutungsmacht über die Biographien von Menschen, die in der DDR sozialisiert wurden, geführt.
Die Integration von wissenschaftshistorischer und biographischer Forschung verspricht, das bis dato sehr lückenhafte Bild der Operativen Psychologie nicht nur zu vervollständigen, sondern auch mit der lebendigen und widersprüchlichen Erfahrungen ehemals politisch Verfolgter in Perspektive zu setzen.
Für nähere Fragen zum Projekt kontaktieren Sie martin.wieser[at]sfu-berlin.de
Publikationen zum Projekt:
Gefördert durch:
Projektnummer: P 33103